Unternehmerische Entscheidungen und Nicht-Wissen

Meine Firma, die Xenium, habe ich 1999 zusammen mit einem Partner – meinem früheren Kollegen Andreas Lannes  – gegründet. Allein hätte ich mich das damals nicht getraut. In den ersten Jahren war es gut, zu zweit zu sein. Wenn wir nicht wussten wie es weitergeht haben wir uns zusammengesetzt, diskutiert und meistens eine Lösung gefunden.

2005 hat sich Andreas entschieden, andere Wege zu gehen. Ich habe mich entschlossen, die Xenium allein weiterzuführen. Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens – und sie hat vieles radikal verändert.

Es gab nun niemanden mehr mit dem ich mich austauschen konnte, wenn ich nicht wusste wie ich entscheiden sollte. Ich musste also nun ganz allein herausfinden, was ich wirklich will. Das war für mich eine neue Situation.

Das Nicht-Wissen akzeptieren

Der schöne Satz „finde heraus was Du wirklich willst“ ist nämlich leichter gesagt als getan. Was ist, wenn ich es einfach nicht weiß? Wenn es sehr gute „pro“-Argumente gibt und ähnlich viele, ähnlich gute „contra“-Argumente? Und wenn zudem viele Informationen fehlen oder mit hoher Unsicherheit behaftet sind? Dann – so habe ich gelernt – ist es das Beste, mein Nicht-Wissens zu akzeptieren und zunächst nicht zu entscheiden. Es hat keinen Sinn, eine Entscheidung zu erzwingen, wenn sie nicht reif ist. Im Gegenteil – unreife Entscheidungen erzeugen eher Schaden als Nutzen. Aber das ist gar nicht so einfach: Du stehst im Teammeeting vor versammelter Mannschaft, alle schauen Dich erwartungsvoll an und die Blicke sagen: „Und, wie geht’s jetzt weiter?“ – und ich muss sagen „Ich weiß es nicht.“ Peinlich, oder? Sind Chefs nicht dazu da, zu entscheiden? Ist das nicht ein wesentliches Element von Führung?

Ich habe zunächst die Tendenz gehabt mich davon unter Druck setzen zu lassen oder mich selbst unter Druck zu setzen. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, diesem selbst gemachten Druck zu widerstehen und mein Nicht-Wissen auszuhalten und zu akzeptieren. Die Alternative wäre gewesen, eine Entscheidung zu erzwingen, von der ich nicht vollständig überzeugt war. Das aber fühlte sich einfach falsch an – und diesem Gefühl habe ich mehr und mehr vertraut. Mit der Zeit ist es mir besser und besser gelungen, mir selbst und anderen gegenüber zu meinem (Noch-)Nicht-Wissen zu stehen und das immer klarer und selbstbewusster zu vertreten, wenn andere versucht haben mich zu drängen.

Manchmal wird behauptet, irgendeine Entscheidung sei besser als keine. Ich teile diese Auffassung definitiv nicht. Es mag dringliche Situationen geben, wo man tatsächlich nicht warten kann – natürlich muss man dann schnell entscheiden; wenn es sein musste habe ich das auch getan. Aber alles was mit größeren Risiken verbunden ist – insbesondere strategische und Personalentscheidungen – habe ich niemals getroffen bevor ich mir nicht sicher war.

Natürlich ist das Treffen von Entscheidungen ein wesentliches Element von Führung. Ich halte aber das Akzeptieren und Aushalten des eigenen Nicht-Wissens für mindestens genauso wichtig.

Entscheiden mit Herz und Hirn

Woran merkt man, dass eine Entscheidung reif ist? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Dinge irgendwann klar werden, wenn ich sie lange genug „im Herzen bewege“. Diese schöne Formulierung stammt aus dem Lukas-Evangelium. Damit ist nicht analytisches Nachdenken gemeint. Das muss man natürlich auch. Eine nicht durchdachte Entscheidung ist genau so schlecht wie eine unreife. Für mich bedeutet „im Herzen bewegen“ ein nicht-analytisches Betrachten eines Gegenstandes oder Problems und das bewusste, nicht wertende Wahrnehmen der damit einhergehendenEmpfindungen. Wenn dann gute oder schlechte Gefühle auftauchen versuche ich herauszufinden wo sie herkommen. Daraus ergeben sich manchmal Hinweise zur Veränderung der Idee; manchmal zeigt sich aber auch, dass das ungute Gefühl einfach nicht weggeht. Und dann weiß ich, dass das nicht der richtige Weg ist. Wenn andererseits über einen gewissen Zeitraum ein gutes Gefühl da ist und es auch keine gewichtigen sachlichen Gegenargumente gibt – wenn also Herz und Hirn in die gleiche Richtung weisen – , dann gehe ich diesen Weg. Beide, Herz und Hirn haben dabei ein Vetorecht: Wege ohne Herz gehe ich nicht und Unfug mache ich auch nicht – jedenfalls nicht sehenden Auges.

Noch zwei Anmerkungen: Es gibt – gerade in großen Organisationen – bei Führungskräften das Muster, überhaupt nicht zu entscheiden, um sich nicht angreifbar zu machen, obwohl der- oder diejenige sehr wohl weiß, was zu tun wäre. Das ist mit dem Akzeptieren des Nicht-Wissens nicht gemeint. Als Unternehmer kommt man allerdings nicht auf solche Ideen – oder man ist sehr schnell nicht mehr auf dem Markt. Und es gibt auch Menschen, die sich sehr schwer tun, überhaupt jemals  eine Entscheidung zu treffen – aus was für Gründen auch immer. Solch eine Person sollte keine Führungsverantwortung übernehmen.

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