Zen und die Kunst des Krisenmanagements: „Die Dinge sehen wie sie sind“

Wie bekommt man erfolgreich den Turnaround in einem Krisenprojekt hin? Klaus Hennig und ich haben darüber 2007 einen Artikel veröffentlicht (Link). Einige der dort beschriebenen Erfolgsfaktoren sind von meiner Zen-Praxis inspiriert, zum Beispiel der erste:

 „Sich der Situation immer wieder bewusstwerden“

Alle Krisenprojekten, die ich kenne, haben eins gemein: die Verantwortlichen können oder wollen die tatsächliche Lage nicht in voller Schärfe wahrnehmen. Man redet sich die Situation schön, blendet kritische Stimmen aus und glaubt an Wunder. Als Folge davon kommen Gegenmaßnahmen zu spät oder sind nicht konsequent genug.

Die Verantwortlichen in solchen Projekten sind in der Regel erfahrene Personen, die es eigentlich besser wissen müssten. Warum unterlaufen ihnen solche Fehleinschätzungen?

Jeder Mensch konstruiert sich sein eigenes Modell der Wirklichkeit – das geht auch gar nicht anders.

Aber wir verlieben uns in diese Konstrukte und halten sie für die Wirklichkeit selbst.

Nach buddhistischer Auffassung ist genau das eine Quelle von Leiden: Leiden entsteht, wenn die Wirklichkeit und unser Modell auseinanderfallen und wir an letzterem festhalten. Die Wahrnehmung dieser Konstrukte des Geistes als das was sie sind – eben Konstrukte und nicht die Wirklichkeit selbst – ist der Kern buddhistischer Meditationspraxis.

„Zen is the teaching or practice of seeing ‚things as it is‘“. 

Zen-Meister Shunryu Suzuki

Das Verdrängen der „Dinge wie sie sind“ ist das Hauptproblem in der Krise. Das Erkennen der eigenen Täuschungen ist daher der Schlüssel zum Turnaround. Genau das bedeutet der Erfolgsfaktor „sich der Situation immer wieder bewusstwerden“ – das ist natürlich nichts anderes als „Die Dinge so sehen wie sie sind“.

Und wie genau geht das? Für mich gibt es drei Bausteine, die mir dabei helfen:

  1. Selbstbeobachtung
    Die eigenen Gedanken, Emotionen und Impulse zu beobachten hilft mir zu verstehen, wie ich mir mein Wirklichkeitsmodell konstruiere. Das reduziert die Gefahr, mich zu stark damit zu identifizieren.
    Für mich geht das am besten in einem mehrtägigen Retreat im Schweigen. Dieses beständige Üben in kritischer Selbstbeobachtung ist für mich das stabilisierende Fundament für Krisenmanagement.
  2. Den Kopf frei behalten
    Jede(r) Verantwortliche in einem Krisenprojekt ist unter ständiger Überlast. Dadurch verliert er/sie den Blick für das Wesentliche. Ich versuche daher immer, mir irgendwo ein bisschen Zeit für mich herauszuschneiden, um den Kopf frei zu bekommen – und sei es nur eine Stunde morgens im Hotel. Diese Zeit bleibt frei von Emails und Telefonaten. Stattdessen versuche ich in dieser Zeit die Frage zu beantworten: „Wo stehen wir wirklich?“
  3. Externe Begleitung
    Alle eigenen blinden Flecken selbst zu erkennen ist unmöglich. Da hilft nur jemand, der mit der Situation vertraut ist, mein Vertrauen hat und mir ungeschminkt ihre Sicht der Dinge sagt. Solche Gespräche sind schmerzhaft, fruchtbar und notwendig zugleich.

Ich selbst kenne die Situation aus beiden Perspektiven: der desjenigen, der selbst verantwortlich ist für ein Krisenprojekte und der desjenigen, der eine(n) Projektverantwortliche(n) berät. Aus beiden Perspektiven ist das Bild dasselbe: Ohne die Sicht „auf die Dinge wie sie sind“ ist ein Turnaround in der Krise unmöglich.

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